Eretz Israel:
Historische Geographie von
HaifaVon Dr. Isaak Brawer,
Haifa
Erschienen in: Palästina, Monatsschrift für
den Aufbau Palästinas, Jahrgang 12, Nummer
4, 1929.
Der Strand, von welchem
der Karmel aufsteigt, dort wo das Meer tief
in die Küste unseres Landes eindringt, war
schon in alten Zeiten besiedelt. Die
Menschen, welche in dieser mit einem so
herrlichen Panorama gesegneten Gegend
lebten, waren Fischer, Sammler von
Purpurmuscheln, Feigenzüchter, von
vorhistorischer Zeit an bis zu der des
zweiten Tempels und des Mittelalters.
Der tschechoslowakische
Gelehrte Peterbok fand 1925 eine Siedlung
aus dem Transneolithikon (Übergangsperiode
vom Paleolithikon zum Neolithikon) in der
Nähe von Bath Galim. Schon früher hatte Graf
Muelinen viele Überreste aus dem
Megalithikon (Ende der Stein- und Beginn der
Bronzezeit) neben dem Kloster gegen Süden,
ebenso bei Neve Schaanan und anderen Orten
gefunden. In vorbiblischen Inschriften wird
die Gegend in der Zeit des ägyptischen
Königs Pepi I. erwähnt, der um 2550 v. Chr.
siegreich bis zum Karmel vorgedrungen war.
In der Bibel wird sie das erstemal im
Deborahlied genannt, in dem wir lesen, daß
das Land von Ascher, der "an der Küste
wohnte und an ihrer Bucht lebte", sich über
das ganze Gebiet des heutigen Haifa
ausdehnte. Im Deuteronomium I, 7, und im
Buche Josua IX, 1, wird die Küste ebenfalls
erwähnt, aber der Name der Stadt erscheint
nicht in der Bibel. Erst in viel späteren
Quellen, aus der Zeit des Rabbi Juda ha
Nassi, erscheint der Name von Haifa das
erstemal und zirka 300 Jahre früher der Name
Sycaminon (Schikmona).
Wir dürfen daraus nicht
schließen, daß unsere Stadt erst im zweiten
Jahrhundert nach oder dem ersten vor Christi
gegründet worden wäre. Die Namen Haifa und
Sycaminon, welche etymologisch abgeleitet
sind von "Hof" (Küste) und "Schikma" (Sycomore)
lassen auf jüdische oder kanaanitische
Gründer schließen. Ihr Alter und ihr
jüdischer Charakter werden bezeugt durch die
Tatsache, daß Haifa als innerhalb der
Grenzen des Territoriums gelegen betrachtet
wurde, in dem die auf das "Heilige Land"
bezüglichen Gesetze gelten, indes Akko als
außerhalb des Landes Israel gelegen
angesehen wurde. Es ist bis jetzt nicht
vollständig klargestellt worden, ob Haifa
und Schikmona zwei Namen für dieselbe Stadt
oder solche für zwei verschiedene Städte
waren. Nach griechischen und römischen
Quellen würde es scheinen, daß es nur eine
Stadt gegeben hat. Jedoch scheinen Talmud,
Midraschim und die in der Nähe unserer Stadt
noch vorhandenen Spuren alter Ansiedlungen
zu beweisen, daß hier zwei verschiedene
Städte sich befanden.
Die eine, von den Arabern
heute noch "Haifa-el-attika" benannt, stand
auf dem Boden, wo jetzt die
Karmelbahnstation gelegen ist. Schikmona lag
innerhalb der Grenzen der Entfernung, welche
für Spaziergänge am Sabbath gezogen waren -
3.5 km - gegen Südwesten auf einem Hügel,
der sich bis 15 m Höhe über dem
Meeresspiegel erhob. Sie blickte über die
ganze Haifaebene sowie das anschließende
Meer und bewachte den wichtigen Weg, der auf
dem schmalen Streifen Ebene zwischen Meer
und Karmel aufsteigt, von Saron nordwärts.
Auf diesem Platz können
wir heute noch die Ruinen einer prachtvollen
griechischen Stadt finden, mit Bruchstücken
von Marmorskulpturen und Mosaikfußböden,
großen Bausteinen und griechischen Münzen.
Selbst in dem gegenwärtigen arabischen Namen
Tel-a-Semak erblicken wir trotz der
Buchstabenumstellung dieselbe Wurzel wie im
alten hebräischen Namen Schikmona. Der
erste, der hierher kam, im Jahre 117 v.
Chr., war der ägyptische König Ptolomäus
Lathyrie, der Krieg mit Alexander Jannaeus
führte. Im zweiten Jahrhundert nach Christi
lebte hier einer der Schüler Rabbi Akkibas,
Rabbi Simon Haschikmoni.
Zu jener Zeit zahlte man
den Zehnten von der Frucht des
Sykomorenbaumes, "Rimin"*) genannt, welche
dort außergewöhnlich gut war. Selbst jetzt
noch findet man in der Umgebung der Stadt
alte Sykomoren. Die Einwohner von Haifa
dagegen waren meist Muschelsammler. Sie "preßten
und quetschten sie aus, um ihren Saft zu
gewinnen" (Raschi, Sabbathkommentar, 26,
71), um damit eine Purpurfarbe zu erzeugen.
Es waren so viele Heiden in der Stadt, daß
sie die Aussprache der Juden verdarben.
Deshalb war es den Kantoren von Haifa nicht
erlaubt, vor der Bundeslade zu singen und
die Priester von dort durften außerhalb der
Stadt nicht ihre Hände zum Segnen erheben,
denn "anstatt Aleph sagen sie Ajin und statt
Ajin Aleph" (Megillah 22, 71).
In der Zeit der Amoräer
erscheint der Name von Schikmona nicht mehr
in den Quellen. Die Einwohner von Haifa
beklagen sich über ihre bösen Nachbarn von
Castra**), welche ihnen wie ein hemmender
Felsen seien, so die Prophezeiung erfüllend:
"Und der Herr befahl betreffs Jakob, daß
seine Widersacher ihn umringen sollten"
(Klagelieder 1—17, Vajikra Rabba 23). Dies
bezieht sich auf das samaritanische Castra,
welches die Stadt Schikmona, in der zu jener
Zeit viele Weise und ihre Schüler lebten, so
sehr plagte. Der bekannteste von ihnen war
Rabbi Abdimi von Haifa, ein hervorragender
Aggadist. Ungefähr um diese Zeit gab es eine
Siedlung dort, wo heute Hadar Hakarmel
steht. Tatsächlich wurde vor einigen Jahren
ein Mosaikfußboden im Garten der hebräischen
Mittelschule gefunden. Vielleicht stand auf
diesem schönen Platz das Wohnhaus eines
reichen Mannes oder eine Synagoge.
Von der Zeit der letzten
römischen Kaiser an bis zu den arabischen
Eroberern wissen wir von der Stadt nur
wenig. Im Jahre 326 n. Chr. errichtete
Helena, die Mutter Konstantins, ein Kloster,
nahe den Höhlen, die bis heute mit den Namen
von Elijah und Elisa verknüpft sind. Die
Ruinen dieses Klosters, mit griechischen
Inschriften bedeckt, standen noch zu Anfang
des neunzehnten Jahrhunderts. Gerade vor der
Zeit Helenas hatten die Christen die
Anbetung der Götter des Karmels wieder
eingeführt und mit dem Kultus Elijahs des
Propheten begonnen. Wir haben dafür eine
Nachricht im Tacitus, zweites Jahrhundert
vor Christi. Er erwähnt das berühmte Orakel
des Gottes des Karmel, der weder eine Statue
noch einen Tempel hat, sondern bloß einen zu
seiner Ehren erbauten Altar. Die Entwicklung
der Stadt wurde sehr gefördert durch die
religiöse Bedeutung, der ihr durch die
Christen beigelegt wurde, die auch von Juden
und Moslim angenommen wurde. Noch bevor das
Christentum die herrschende Religion wurde,
zogen sich christliche Eremiten in die durch
die Höhlen des Karmels ermöglichte
Abgeschiedenheit zurück. Am Beginn des
fünften Jahrhunderts zogen sie ins Kloster
und lebten dort nach den Vorschriften des
heiligen Basilius.
Auch von der arabischen
Eroberung an wissen wir wenig über Haifa. Es
scheint, daß dort im achten Jahrhundert eine
karaitische Gemeinde bestanden hatte. Im
elften Jahrhundert besuchte der persische
Reisende Nasir-i-Khusran die Stadt und
beschrieb sie als einen schönen Platz am
Meeresstrand, überreich an Dattelpalmen und
anderen Bäumen. Ihre Einwohner bauten große
Schiffe, "Judi" genannt. Auf dem Weg nach
Akko fand man einen feinen Sand von der Art
dessen, den die persischen Goldschmiede
verwendeten und "Mekkasand" nannten. Es gab
in diesem Jahrhundert zahlreiche Juden in
Haifa und eine Zeitlang war auch die Leitung
der Stadt in ihren Händen. Viele Weise mit
ihren Schülern wohnten dort, teils ständig,
teils als zeitweilige Zuflucht vor dem
Ungemach, das mit den Kriegen zwischen
Sedschuken und Ägyptern verbunden war.
Im Jahre 1083 berief der
Gaon Rabbi Eljahu ben Schlomo haCohen eine
wichtige Versammlung in das Gemeindehaus
zwecks Wiederbestätigung der Autorität und
der Stellung des Gaonates. Die Stadt war
ruhig und fern vom Getöse der Welt gelegen,
abseits von den wichtigen Straßen und selbst
die Straße Saron - Akko berührte sie nicht.
Daher verweilten die verschiedenen Eroberer
des zehnten und elften Jahrhunderts nach dem
Fall des Khalifats von Bagdad nicht in ihr.
Anderseits zog aber das religiöse Ansehen
der Stadt die Kreuzfahrer an und sie
belagerten Haifa im Jahre 1099. Die Juden
und Moslim verteidigten die Stadt kühn und
trotzig, weshalb sie samt Frauen und Kindern
von den Christen ausgerottet wurden, als die
Stadt fiel. Die Kreuzfahrer hielten sie
zirka 150 Jahre, in deren Verlauf sie viele
schöne Baulichkeiten errichteten, von denen
noch heute Spuren erhalten sind, bei
Ruschmia, Tira, Atlith usw.
Nach dem Krieg erlaubten
die Christen den Juden und Moslem wieder die
Niederlassung in Haifa und anderen Städten,
da sie sie als Vermittler bei ihrem Handel
mit dem Orient brauchten. Während dieser
Zeit belebten die Juden wieder die
Purpurfärberei, weshalb die Stadt damals
auch Porphyrion genannt wurde. Während Akko
ein wichtigeres Zentrum war, konnte sich
Haifa im zwölften Jahrhundert doch eines
schönen Hafens rühmen, in dem große Schiffe
und Galeeren vor Anker gehen konnten, wie
dies der arabische Geograph Idrisi
berichtet. Er ist es, dem wir die erste
genaue Information über die Lage von Haifa
verdanken. Sie lag "unter dem Vorgebirge"
(dies bezieht sich auf Ras el Crum) "des
Karmel, welches eine Landspitze ist, die in
das Meer ragt". Sein jüdischer Zeitgenosse
Rabbi Benjamin von Tudela, der Haifa um 1660
besuchte, zitiert diese Worte und fügt
hinzu, daß es dort "viele jüdische Gräber"
gibt, an der Bergseite die Höhle des Eljah,
neben der "zwei Edomiten" (Christen) einen
Altar gebaut hätten, den sie St. Elias
nannten.
Im Jahre 1187 nahm Saladin
Haifa ein und zerstörte seine Festungen.
Aber die Christen kamen in die Stadt zurück
und bauten ein Kastell in der Gegend des
alten Schikmona "zwischen Haifa und Caesarea",
wie der arabische Reisende Yakut im
dreizehnten Jahrhundert sagte. Dieses
befestigte Kastell beschützte die
Hauptstraße von Saron nach Akko. Zum selben
Zweck bauten die Kreuzfahrer auch die
Festung Ruschmia auf den Karmel, um den
einzigen Weg zu bewachen, der den Karmel
längs des Wadi Ruschmia und den Wadis des
Dorfes Tirah schneidet.
Am Ende der Kreuzzüge gab
es in Akko eine große jüdische Gemeinde. In
ihren Augen war Haifa ein heiliger Platz, wo
sie ihre Toten begruben und an den Gräbern
ihrer heiligen Männer beteten. Zufolge Rabbi
Jizchak Hilo, der im vierzehnten Jahrhundert
lebte, wurden die meisten der Weisen in
Israel, die im dreizehnten Jahrhundert nach
Palästina gekommen waren, hier begraben. Zu
seiner Zeit war die jüdische Gemeinde in
Haifa durch ihre Frömmigkeit berühmt. Es
scheint, daß die Mehrzahl der 300 Rabbiner,
die zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts
nach Palästina kamen, sich in Haifa oder
Akko niederließen. Viele von ihnen wurden in
Haifa begraben, unter ihnen Nachmanides,
welcher nach dem Mongoleneinfall im Jahre
1267 nach Palästina kam. Zu dieser Zeit war
die Bucht von Haifa ein
Weltverkehrsmittelpunkt und Akko das Tor zum
Weg nach Indien. Aber Haifa genoß dies nur
indirekt und in begrenztem Maße. Wie die
Dinge damals lagen, war die Stadt weit davon
entfernt, die Hauptader des Handels und
Verkehrs zu sein.
Der Hafen verfiel im Laufe
des dreizehnten Jahrhunderts und als der
heilige Ludwig, König von Frankreich, bei
Haifa landen wollte zerschellte sein Schiff
und er wurde nur durch ein Wunder gerettet
(1254). Einige Jahrzehnte später verfiel
auch der Hafen von Akko vollständig und das
Schweigen des Todes herrschte hier vom Ende
des dreizehnten Jahrhunderts an, mit dem
letzten der Kreuzzüge. Die Entdeckung des
Seeweges nach Indien durch die Portugiesen
trug zu diesem Verfall bei.
Im sechzehnten Jahrhundert
wechselte das Land wieder den Beherrscher.
An die Stelle der Mameluken traten die
Türken. Durch 400 Jahre geschah nichts von
Bedeutung mit Haifa. Es war eine kleine
Stadt, vielleicht bloß ein Dorf auf einer
Fläche von weniger als 0.5 km2. Die damalige
Lage der Stadt war nicht für einen Hafen
geeignet, denn sie war dem Winde ausgesetzt,
indes die Felsen und die Brandung die
Schiffe hinderten, sich dem Strand zu
nähern. Die Gründe dafür, daß sie gerade an
diese Stelle gebaut worden war, waren:
Schutz vor Angriffen, Gewinnung des
Lebensunterhaltes aus dem Meer und die
frische kühle Luft, welche die brennende
Hitze des Sommers milderte.
Erst im achtzehnten
Jahrhundert wurden die Lebensbedingungen der
Stadt radikal geändert. Ein Beduinenscheich,
Tahir-el-Omar, erhob sich gegen die Türken
und wurde Herrscher der Gegend von Haifa und
Akko. In einer seiner Schlachten wurde Haifa
zerstört und sodann auf ihrem gegenwärtigen
Platze neu erbaut. Dieser Scheich umgab die
Stadt mit einer Mauer und baute auf dieser
die Festung Bourg-a-Salam. Die Lage der
Stadt war hauptsächlich aus strategischen
Gründen geändert worden, denn jetzt stand
die Stadt Wache auf dem Weg von Samaria nach
Galiläa und Akko. Dieser Wechsel der Lage
wurde zu einem solchen des Schicksals. Die
Stadt stand jetzt an jenem Teil der Bucht,
welcher durch den Karmel am meisten vor dem
Wind geschützt ist. Nach Osten erstreckte
sie sich zu dem Punkte, wo die Straße Saron
- Akko die Verbindung der Hauptwege von
Jesreel kreuzte, wodurch es einen Stützpunkt
auf den Hauptverkehrsadern des Handels
gewann. Infolgedessen ist als eigentlicher
Ausgangspunkt der Damaskusbahn, die 1905 bis
1908 erbaut wurde, eher Haifa als Akko
anzusehen. Auch äußere Faktoren trugen zum
Aufstieg Haifas bei: Während des neunzehnten
Jahrhunderts hatte Akko viele Schlachten und
Belagerungen zu erdulden, in deren Folge
sein Hafen beschädigt wurde. Außerdem hatte
Haifa den Vorteil seiner Heiligkeit, die
fortfuhr, viele Christen anzuziehen.
Am Beginn des vorigen
Jahrhunderts hatten katholische Mönche das
Kloster von Elijahu auf seinen Ruinen wieder
aufgebaut. Sie vollendeten den Bau im Jahre
1853. Im Jahre 1868 kamen die schwäbischen
Bauern und gründeten die deutsche Kolonie.
Viele Flüchtlinge und Gemeinschaften suchten
in Haifa Schutz, denn die Stadt bot eine
immer steigende Sicherheit, weil die großen
europäischen Mächte dort durch ihre Konsuln
vertreten waren. Dies gab der Entwicklung
der Stadt einen großen Impuls, wobei in den
letzten zwanzig Jahren die Juden die
wichtigste Rolle gespielt haben. Vor hundert
Jahren war bloß eine Hand voll Juden in der
Stadt, gerade genug für Minjanim. Die
Einwanderung aus Marokko, Syrien, Smyrna und
Konstantinopel brachte viele sephardische
Juden in die Stadt. Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts zählten die Juden schon mehrere
hunderte Köpfe, anfangs des zwanzigsten
Jahrhunderts 2000.
Die Bedeutung der neuen
Stadt, welche sich bereits über eine
beträchtliche Fläche ausdehnt und die
dereinst 50 km2 bedecken wird, ist ganz
verschieden von der in früherer Zeit. Mit
dem Bau des Hafens werden die Tage des
Handels mit Indien wiederkehren. Aber dann
wird nicht Akko die Schlüsselstadt sein,
sondern das jüdische Haifa. Der Keren
Kajemeth hat jene große Bodenfläche
erworben, die für die künftige Entwicklung
der Stadt notwendig ist.
Haifa heute, Blick auf den
Hafen
*) Rimin war überall vom
Zehent befreit, mit Ausnahme jene von
Schikononi (Damai I, 1).
**) Castra Samaritanorum dürfte dort gelegen
sein, wo wir heute Hirbet-a-Samir finden,
zirka 4 km südlich von Schikmona.
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