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Judentum und Israel
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Sichron Jaakow, 1935.

Zwanzig Leute müssen weg, um sich von den vorjährigen Malariafällen zu erholen, praktisch bedeutet das, sich sechs bis sieben Kilo anzuessen und in "höheren Regionen" recht viel zu schlafen. Zehn Leute fahren auf einmal.

Sonntag morgen um 5 Uhr ist das Auto bestellt. Um 4 Uhr wird geweckt; alles torkelt schlaftrunken durch die Gegend. Einer sucht sein Wäschepaket, das er am vorhergehenden Abend bekommen hat, einer sucht Kordel, um sein Bettzeug zusammenzubinden, einer sucht seinen Kopf, den er im Bett vergessen hat, einer rast durch alle Zimmer, um ein geeignetes Tischchen aufzutreiben. So läuft alles durcheinander, um ja nichts zu vergessen: die Klampfe, das Grammophon, Schachspiele, Bücher, Aschenbecher, Eßgeschirr, Kissen, Decken usw. Als das Auto kommt, liegt schon ein ganzer Berg von Sachen im Hof. Schnell wird aufgeladen. Bänke, Tische, Gepäck und wir. Der ganze Kibbuz ist unterdessen wach geworden, und nun gibt's Abschiedswinken nach Strich und Faden, fein im Takt.

Das Lastauto holpert los; wir glauben, bei jedem Stoß von unserer Höhe herabzufliegen. Aber schon lenkt uns etwas anderes ab. Als das Auto sein Höchsttempo erreicht hat, fängt der kleine Seew an, jämmerlich zu kotzen, immer fein über Bord. Zum Glück sitzt er ganz hinten, so daß von seinem Segen nur das Auto etwas abbekommt. So wird unsere Spur bis Sichron verfolgbar.

Kreuzlahm und zerschlagen steigen wir ab. Einige Bettgestellkrüppel hat diese Fahrt mit sich gebracht. — Abgeladen!, und nun liegt der Haufen vor der Rampe am Eingang von Sichron. Judith führt uns zur gemieteten Wohnung: Ein Hof, Kühe, Ziegen, Lattentür ein Garten; Granatäpfel, Weintrauben, Johannesbrotbäume, Olivenbäume, Kakteen mit Sabres, wieder eine Tür, ein Haus. Links Araber, rechts wir. Zwei Zimmer, die gerade ausgeräumt werden. Erst als wir die Familienbilder entfernt, alle Fenster aufgerissen und die Möbel hingestellt haben, sieht es wohnlich aus. Eine Veranda mit sehr schönem Ausblick schließt sich an die beiden Zimmer an. Alles fällt auf die Betten, und schon tönt musikalisches Schnarchen durch die Räume. Unterdessen richten Ilse und Judith — sie sind für unser körperliches Wohl verantwortlich — ein feudales Essen, und allmählich setzt sich die vorausbestimmte Tageseinteilung durch.

Aufstehen um 7 Uhr, dann in die Miklachath! (Bretterverschlag mit einer Dusche), die immer dann versagt, wenn man ganz eingeseift darunter steht: wenn es dann nach gutem Zureden kommt, tröpfelt es, zwar nur langsam, aber ausdauernd. Bis 8 Uhr ist man zum Frühstück bereit. Und nun gibt es — werdet nur nicht neidisch — Kakao oder Milch oder richtigen Bohnenkaffee und Tee, dazu Sahne und Käse und Butter. Marmelade, Honig oder Aufschnitt. Jetzt ist die Weinernte, so daß es zu jeder Mahlzeit Wein gibt. Danach gehts zum Wiegen, und anschließend werden alle alten Plätze vom vorigen Jahr wieder aufgesucht. Um 10 Uhr muß man zu Hause sein, um Zucker- oder Wassermelone, Pflaumen, Äpfel oder Wein zu futtern. Danach legt man sich entweder bis mittag aufs Bett oder liest, schreibt, schläft, spielt Schach, macht Seilchenspringen, kurbelt. Mittagessen um 12 Uhr: Fleischbrühe, jeden Tag Fleisch, Kartoffeln und Gemüse, einen Creme oder Pudding und Obst. Danach schlafen bis 4 Uhr, dann Kaffee oder Tee wie zum Frühstück, und dann bis 7 Uhr Spazierengehen. Abendbrot, dann wieder Spazierengehen und Horra und Polka tanzen.

Sichron, eine der ältesten Siedlungen im Land, ganz noch auf den Bergen, mit weitem Blick auf das Meer und den fruchtbaren Küstenstreifen. Der Blick reicht bis nach Haifa an klaren Tagen und bis an unser Machane auf der anderen Seite. Auf der dritten Seite Bergketten bis an den Horizont; man wird stark an die Schweiz erinnert. Links auf den Bergen liegt zum Greifen nahe Schefeja, ein jüdisches Kinderdorf: amerikanische Stiftung für Waisen, die bis zum sechzehnten Lebensjahr dort außer den Schulfächern alle haus- und landwirtschaftlichen Arbeiten lernen. Bis jetzt war die Sprache nur Iwrith, aber heute lernen sie auch englisch, um später auch in Fachschulen folgen zu können. Von dort aus gehen sie auf Hachscharah in Kibbuzim oder als Arbeiter in die Stadt. Wenn dieser Ort von hier auch sehr nahe aussieht, geht man doch 1 1/2 Stunden bis dorthin. Weinberge, ringsum von Olivenhainen unterbrochen. Ab und zu ein Feigenbaum. Ununterbrochen fahren Wagen mit fünf bis sechs Fässern voller Weintrauben, von Mauleseln gezogen, an uns vorbei. Die Kutscher sind Araber. Wenn man an sie herantritt, geben sie bereitwilligst Wein ab. Wir haben uns gleich an einem Brunnen aufgestellt, um die Früchte vor dem Essen zu waschen. Sie sind nämlich mit einem Gift bespritzt, das sie vor Ungeziefer schützen soll. Plötzlich entdecken wir "Sabres", die stachligen, gutschmeckenden Früchte der Kakteen. Moscheh kann sie gut öffnen; es gehört eine besondere Geschicklichkeit dazu. Da schreit Zwi: "Meine Zunge, ich habe einen Stachel in der Zunge!" Ein zweiter fühlt einen Stachel in der Hand, ein dritter am Arm. Das ist das Heimtückische an diesen Früchten, daß ihre feinen Stacheln unversehens hängen bleiben.

Am Wegrand sind Bambushaine. Mussa will Bambusrohre haben. Erst als der Araber, der ihn anschreit, mit dem Stock auf ihn losgeht, läuft Mussa davon. Doch vorher hat er sich zwei bis drei Meter lange Bambusrohre gesichert; sehr kleinlaut ziehen wir mit unserer Beute ab. Das gibt für sechs Leute feine Bambusstöcke, die uns von da an auf allen Wegen begleiten.

Eines Tages gehts ans Meer. Das war eine herrliche Fahrt! Wir gingen, alle mit Weintrauben und Tee, Kaffee, Bambusstöcken, Decken und Broten bewaffnet, ganz früh am Morgen los. Natürlich gehen wir nicht den gewöhnlichen Weg. Querfeldein, die steilen Hänge herunter, kürzen wir den Weg um eine halbe Stunde. Als wir an der Bahnstation sind, haben wir die Meereshöhe erreicht. Nun gehts quer durch abgeerntete Maisfelder. Ein paar von uns kennen den Weg noch vom vorigen Jahr und erzählen die grauenerregendsten Dinge von Sümpfen, die wir noch durchwaten müssen. Aber wir gehen trotzdem mutig weiter und kommen zu Binsen und stachligen Gewächsen. Dazwischen grasen Kuhherden. Schöne Araberkinder spielen auf ihren primitiven Bambuspfeifen. Wir fragen auf arabisch nach dem Weg und folgen ihren Weisungen, bis wir an einen scheinbar unüberwindlichen Wassergraben kommen. Gepäck an! Hosen hochkrempeln! Drei Kräftige ins Wasser! Seile holen!

Nachdem dieses Hindernis überwunden ist, geht es schnell weiter, an einem herrlich gelegenen Haus vorbei, zu den Dünen. Mindestens 500 m breit liegt der Strand vor uns. Jetzt aber schnell in dieses blaue Gewege, das ab und zu weiße Gischtkämme ans Land wirft. Angriffslustig laufen wir dem Meer die letzten hundert Meter entgegen. Aber erhitzt wie wir sind, dürfen wir nicht ins Wasser. Also werden die mitgenommenen Decken mit Hilfe von Stricken und Bambusstöcken als Schutz gegen die Sonne aufgespannt. In den Schatten dieser Decken stellen wir unser Essen, legen wir unsere Kleider — und nun auf ins Wasser! Die Wellen sind so hoch und stark, daß wir bei jedem Zusammenprall zurückweichen müssen. Einige gute Schwimmer schwimmen bis hinter die Wellen ganz weit raus; da draußen ist es erst fein, da kann man sich ruhig auf den Rücken legen, ohne in Gefahr zu sein, eine Sturzwelle dieses salzigen Wassers in Mund, Nase oder Auge zu bekommen. Ich schwimme als Erster zurück und komme ganz erschöpft nach hartem Kampf mit den Wellen an. Die anderen spielen schon am Strand, laufen um die Wette. Wir Wettschwimmer legen uns erst einmal in den Schatten unserer Decken und ruhen uns aus. Später wird gefuttert und getrunken, Gymnastik am Strand und im Wasser gemacht. Noch einmal und noch einmal gehts ins Wasser, und ganz aufgeräumt und voll von so viel Blau und Salz brechen wir auf. Krabben krabbeln hinter uns her. Rückweg wie Hinweg — nur um ein Erlebnis reicher. Um 1 Uhr mittags sind wir zu Hause. Es gibt ein Festessen — mit anschließendem Schnarchen! Einer sollte wegen dauerndem Stimmbruchs rausgeschmissen werden, aber in unserer gehobenen Stimmung ließen wir ihn gewähren.

Nur zu schnell gingen diese vierzehn Tage vorüber, obwohl sich jeder einzelne von uns schon nach zehn Tagen ganz heftig nach dem Kibbuz sehnte. Ausgeruht und um viele Kilos und Erlebnisse reicher kamen wir nach Hause zurück.

D.

Quelle: Jeruschalajim, den... Briefe junger Menschen schildern Erez Israel. Gesammelt und herausgegeben von Rudolf Melitz, Berlin 1936.

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