An Bord der "Galilea", 6. 5. 36.
Jetzt ist also alles vorbei. Jetzt fahren
wir schon fünf Stunden lang auf der schönen "Galilea", und zwei Tage sind es jetzt her, daß wir den Anhalter
Bahnhof verließen. Diesen Abschied, diesen schweren schönen Abschied, haben
wir alle jetzt fast vergessen. Jetzt übertönt ihn schon (oder noch) die
herrliche Reise. Die ist wirklich wundervoll, ganz gleich, wo wir sind.
Hinter München sind wir in die Alpen gekommen. Das kann ich Dir gar nicht
schildern. Das können Dir nur die Bilder zeigen, die ich Dir schicken werde.
Ich war schon in den Alpen, aber so schön sah ich sie noch nicht. Wir fahren
inmitten dieser Riesen von zirka viertausend Metern Höhe, die auf ihren
Spitzen Schnee tragen. Immer wieder fahren wir durch einen Tunnel . . . Nun
geht es bergab nach Jugoslawien hinein. Und dann Italien! Freundliche Beamte,
schöne Uniformen und — Fahnen!: Addis Abeba ist gefallen, der Krieg ist zu
Ende. Alles ist ein einziger Jubel. Fackeln grüßen uns, Fanfaren blasen,
Glühlampen brennen grün-weiß-rot. Evviva il Re! Evviva il Duce! . . .
Dann habe ich geschlafen, anderthalb Stunden
lang. Als ich erwache, ist es ganz finster. Aber ein wundervoller Anblick:
Triest, das Meer! Es liegt mitten in der Dunkelheit weiß und taghell vor uns.
Wir packen unsere Sachen. Beamte des Palästina-Amts kommen in den Zug.
Hebräische Aufschriften . . .
Mit fast 100-Stunden-Kilomelern sausen wir jetzt auf das Ziel zu. Herrlicher
Rhythmus, herrliche Fahrt, herrliches Ziel! . . . Ein weißer Leuchtturm:
Triest! Den Leuchtturm werde ich wohl nie vergessen. Riesige Lichtkegel gehen
von ihm aus. Auch er selbst wird angestrahlt . . . Ein großer wunderbarer
Säulenbau, der uns den Weg weist in unser Land!
In Triest steigen wir aus. Zu der versammelten Alijah spricht ein Beamter des
Palästina-Amts, erst hebräisch, dann deutsch.
Mit der Straßenbahn fahren wir ins Auswandererheim. Vorbei an herrlichen
Bauten, geschmückt mit den Fahnen grün-weiß-rot.
Dann Tee, und ich falle ins Bett . . .
Wir gehen durch die Stadt. Alles ist ein Meer der Begeisterung über den Sieg
von Addis Abeba. Riesige Menschenmassen durchziehen mit Fackeln die Stadt. Sie
singen und rufen: "Il Ducel Il Duce!"
Es ist spät, und wir müssen aufs Schiff. Da hält mich ein Junge an, er spricht
italienisch. Ich sammle mein ganzes Latein zusammen und verstehe fast alles:
"Ihr seid nicht Italiener, wohin fahrt Ihr?" — "Mit der 'Galilea' nach Palästina!". Der Junge geht. Plötzlich kommt er zurück:
"Der Negus ist in Palästina, saluti — grüßt ihn!" — Und als Fortsetzung macht
er eine Gebärde, die heißt: und schneidet ihm die Gurgel durch!
Wir gehen auf das weiße herrliche Schiff, die
"Galilea", auf der wir nun fünf
Tage lang bleiben werden. Sehr schöne Kabinen haben wir, meine ist nach außen.
Ein großes schönes Schiff fährt in den Hafen von Triest ein. Es führt eine
blauweiße Flagge und hat einen hebräischen Namen. Auf dem Bug steht, weiß auf
blau: TEL AVIV.
Nun fahren wir schon lange . . .
Eben haben wir Horra getanzt. Da kommt ein Chawer aus dem Kibbuz Givvat
Brenner, der jetzt zurückfährt auf uns zu und bricht den Tanz ab. Unruhen in
Erez . . .
Auf dem Schiff steht alles in vielen Sprachen. Und natürlich Anschläge auch in
Iwrith. Das berührt uns seltsam . . .
Unser erster Tag auf dem Schiff ist nun bald
zu Ende. Die "Galilea" bringt uns
schnell und sicher nach Erez Israel. Wir alle sind so froh . . .
Bis jetzt war ganz herrliches Wetter, sehr warm. ganz ruhige See. Aber jetzt
werden die Wellen stärker. Jetzt hört man die Maschinen stampfen.
Da stampfen Kolben und rasen Räder, da blitzen Gleise, und wir brausen durch
die Berge, da heulen Sirenen und stampfen Maschinen — fünf Tage lang
arbeitet der Dampf, bis dann in einer Nacht in weiter Ferne ein schmaler
Streifen Land auftauchen wird. Dann sind wir da, dann sind wir frei ... Ja, es
ist etwas Schönes, diese Alijah. Wir jagen unserem Ziel zu, dem Ziel eines
ganzen Lebens. Es ist schön - schön - schön ...
Manfred
Quelle: Jeruschalajim, den... Briefe
junger Menschen schildern Erez Israel. Gesammelt und herausgegeben von Rudolf
Melitz, Berlin 1936.
hagalil.com
01-05-08
|